Digitalisierung
Die digitale Papierfabrik
12. November 2020
Nach der erfolgreichen Digitalisierung der Papierfabrik in Venizel, Frankreich, möchte Saica Paper nun auch seine Fabrik in El Burgo, Spanien, stärker digitalisieren. Wir sprachen mit Fernando Carroquino, Industrial Director bei Saica Paper, über die Erfahrungen seit unserem letzten Interview im Jahr 2017 und darüber, wie die Corona-Pandemie die Art und Weise verändert hat, wie die Papierindustrie die Digitalisierung wahrnimmt. Aufgrund der Corona-Pandemie und passend zum Thema führten wir das Interview virtuell durch.
Bereits vor drei Jahren sprachen wir über Chancen, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Wie beurteilen Sie die Situation in der Papierindustrie heute?
Es gibt Ausnahmen, aber im Allgemeinen gilt, dass die Papierindustrie sehr traditionell und oft skeptisch gegenüber neuen Dingen ist. Wir investieren lieber in Stahl und große Maschinen als in Computer und Algorithmen. Es ist daher sehr schwierig, neue Ideen innerhalb dieser Community zu präsentieren. Ich denke, dass es einige Zeit dauern wird, bis ein globaler Wandel zu einer mehr digitalen Papierproduktion stattfindet. Es gibt bereits einige Entwicklungen und Investitionen in die Digitalisierung. Diese finden aber nur in einem begrenzten Rahmen statt. Die Digitalisierung in der Papierindustrie schreitet sehr langsam voran, Schritt für Schritt.
Wie hat die Corona-Pandemie die Art und Weise verändert, wie die Papierindustrie die Digitalisierung wahrnimmt?
Diese Pandemie ist keine konventionelle Krise wie die von 2009. Wirtschaftlich betrachtet breiten sich Krisen in der Regel eher langsam und vorhersehbar aus. In diesem Fall ist jedoch jeder Monat und jede Woche völlig anders. Die Digitalisierung kann uns dabei helfen, unsere Rohstoffvorräte an die sich ständig ändernden Marktanforderungen anzupassen und die verfügbaren Materialien bei gleicher Papierqualität so effizient wie möglich zu nutzen.
Ich bin mir sicher, dass es in verschiedenen Fällen einen Sinneswandel gegeben hat. Aufgrund der aktuellen Situation mussten wir auch einige kleinere Inbetriebnahmen aus der Ferne durchführen, ohne einen verantwortlichen Techniker vor Ort zu haben. In der Vergangenheit hätte ich gesagt, dass dies unmöglich ist. Ich hätte es vorgezogen, jemanden vor Ort zu haben. Da die aktuellen Umstände dies jedoch nicht zulassen, sind die digitalen Werkzeuge für uns unverzichtbar geworden.
Natürlich ist der persönliche Kontakt für berufliche Beziehungen wichtig, aber wir haben uns diesbezüglich völlig verändert. Wir halten mittlerweile sogar interne Online-Meetings zwischen unseren Papierfabriken, die nicht weit voneinander entfernt sind. Ich glaube also nicht, dass wir an den gleichen Punkt zurückkehren werden wie in der Vergangenheit. Wir sind noch stärker miteinander vernetzt als früher. Das birgt gleichzeitig aber auch einige Risiken. Cyber-Angriffe werden in Zukunft zu einem der großen Themen werden. In der Vergangenheit hätten wir die Internetverbindung einfach kappen können. Aber heute sind wir auf das Internet angewiesen. Cybersecurity sollte deshalb bei der Digitalisierung oberste Priorität haben.
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Die IIoT-Plattform OnCumulus von Voith dient als Schnittstelle für Daten aus verschiedenen Quellen - und mit Hilfe mehrerer Apps werden diese Daten in verwertbare Informationen umgewandelt.
Mit welchen Themen sollte sich die Papierindustrie im Zuge der Digitalisierung zuerst befassen?
In der Vergangenheit haben wir versucht, eine Papiermaschine perfekt auf die Herstellung bestimmter Papiersorten einzustellen. Diese Papiermaschine war in ihrer Komfortzone, wenn sie das produzierte, worauf sie vorbereitet war. Aber der Markt verändert sich sehr schnell und wir sollten in der Lage sein, unsere Produktion flexibel an die aktuelle Nachfrage anzupassen. Digitale Werkzeuge könnten hier eine große Hilfe sein. Sie werden eine langsame Papiermaschine nicht in eine schnellere verwandeln, aber sie können basierend auf Echtzeitdaten die effizienteste Möglichkeit für die Produktion einer bestimmten Papiersorte ableiten. Um dies zu ermöglichen, sollten die Papierhersteller damit beginnen, ihre Maschinen mit Sensoren auszurüsten und Daten zu sammeln.
Glauben Sie, dass eine stärkere Integration der Wertschöpfungskette mit individuellen Informationen über die Kunden und Lieferanten hilfreich wäre?
Um ehrlich zu sein, klingt das zu groß für mich. Es würde sicherlich einen Mehrwert für die gesamte Lieferkette bedeuten. Wenn wir wüssten, dass zum Beispiel eine steigende Nachfrage nach einer bestimmten Art von Verpackungspapier besteht, könnten wir wahrscheinlich früher reagieren und auch in der Wertschöpfungskette zurückgehen und bereits eine Bestellung für eine bestimmte Art von Altpapier aufgeben. In der Realität sind wir allerdings in verschiedene Abteilungen gegliedert. Auf der einen Seite haben wir die Kunden, auf der anderen Seite haben wir die Lieferanten. Es wäre also sehr schwierig, dies intern zu integrieren und zu steuern. Ich denke, wir sollten versuchen, mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen das bestmögliche Papier zu produzieren. Deshalb müssen wir mit der Digitalisierung unserer Produktionslinien schneller vorankommen.
OnEfficiency.BreakProtect nutzt einen einzigartigen KI-Algorithmus, um kritische Prozesssituationen zu erkennen und spezifische Gegenmaßnahmen anzuzeigen, wie ein Abriss verhindert werden kann.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Einführung neuer digitaler Werkzeuge?
Aus meiner Sicht besteht eine der größten Herausforderungen darin, die Mitarbeiter von den neuen Instrumenten zu überzeugen. Ein gutes Beispiel ist die Abrissvorhersage. Wenn das System einen Abriss in 10 Minuten vorhersagt, ohne zu sagen, welche Parameter man ändern müsste, um den Abriss zu verhindern, kann der Bediener sich nur darauf vorbereiten, dass es gleich einen Abriss geben wird. Es gibt nicht viel, was er tun könnte, also könnte dies mehr Frustration verursachen als hilfreich sein. Wenn das System Gegenmaßnahmen definiert, und der Bediener folgt ihnen, woher weiß er dann, ob es wirklich einen Papierabriss gegeben hätte? Letztendlich ist es unmöglich zu sagen, ob die Verbesserungen auf den Bediener oder auf das System zurückzuführen sind. Das könnte eine innere Ablehnung gegen solche Systeme erzeugen. Die Anwendungen sollten dem Bediener daher konkrete Handlungsanweisungen geben und ihm das Gefühl vermitteln, dass er den Papierabriss durch diese Maßnahmen erfolgreich verhindert hat.
Diese Überzeugungsarbeit benötigt Zeit. Man braucht jemanden, der absolut hinter dem System steht und der die anderen mitzieht. Das wird aber nur dann funktionieren, wenn die Werkzeuge vollständig entwickelt und einfach zu bedienen sind. Digitale Anwendungen für Papiermaschinen sollten am Ende genauso einfach zu bedienen sein wie eine Anwendung auf Ihrem Mobiltelefon. Wenn die Leute sie nicht benutzen können, werden sie die Anwendung am Ende auch nicht benutzen. Die neue Visualisierung von OnView.MassBalance erfüllt genau diese Anforderung und gefällt mir wirklich sehr gut.
Sie haben in Ihrer Papierfabrik in Venizel bereits einige digitale Werkzeuge erfolgreich implementiert. Welchen Herausforderungen standen Sie gegenüber und wie haben Sie diese bewältigt?
Die größte Herausforderung ist, dass unsere Kunden immer die gleiche Papierqualität erwarten. Die Qualität unserer Rohstoffe ist jedoch sehr unterschiedlich. Wir sollten in der Lage sein, immer das gleiche Produkt herzustellen, egal welches Material wir verwenden. Der wichtigste Bereich, mit dem wir uns befassen mussten, war daher die Stoffaufbereitung. Wenn wir die Qualität des Faserstoffs, den wir in unsere Maschinen einbringen, stabilisieren können, werden wir weniger Schwankungen im Endprodukt haben.
Im Moment liefert das System Informationen und wir nutzen diese zur Optimierung, aber die Idee ist, dass wir nach und nach beginnen, Regelkreise in der Stoffaufbereitung zu schließen, und ab diesem Zeitpunkt sollten wir dort eine größere Effizienzsteigerung sehen.
Was hat sich bisher verändert?
Ich denke, wir sind aufgeschlossener gegenüber digitalen Lösungen. Bevor wir die neuen Werkzeuge in Venizel eingeführt haben, waren wir sehr skeptisch. Wir dachten, dass wir das System mit den wichtigen Parametern füttern müssen, aber es ist genau andersherum. Das System sagt uns, an welchen Stellen wir die Parameter anpassen müssen. Unsere Vorstellung vom System hat sich völlig verändert. Wir sind alle sehr gute Papiermacher, allerdings sind wir nicht in der Lage, Tausende von Parametern gleichzeitig zu analysieren und daraus die effizienteste Lösung abzuleiten. Die Leute beginnen, die Vorteile der Digitalisierung zu erkennen. Ich würde nicht behaupten, dass dieser Prozess bereits abgeschlossen ist, aber ich beobachte eine sehr gute Entwicklung.
Stellen Sie sich eine Papierfabrik in zehn Jahren vor: Wie wird sie aussehen?
Wenn ich mir eine Papiermaschine in zehn Jahren vorstelle, wird sie mehr Unterstützung bieten und benutzerfreundlicher sein. Algorithmen werden den Bedienern helfen, indem sie ihnen sagen, was sie im Falle eines Problems, wie beispielsweise zu vielen Papierabrissen, tun sollen. Diese Werkzeuge werden Standard sein, denn auch sehr gute Papiermacher brauchen unterstützende Werkzeuge, um die Effizienz auf über 92 % zu steigern. Gute Papiermacher sind sehr wichtig, aber es ist unmöglich, einen absoluten Experten in jedem Bereich in jeder Schicht zu haben. Die digitalen Werkzeuge werden uns dabei helfen, all die kleinen täglichen Probleme zu lösen. Eines Tages sagen unsere Papiermacher vielleicht: „Gut gemacht, Algoritmo!“