Wartung des Giganten
5 VSP in 7 Wochen komplett überholt
Es ist bislang das größte und leistungsstärkste Schiff, das Voith mit dem einzigartigen Antriebskonzept der Voith Schneider Propeller (VSP) ausgestattet hat.
Bei der „North Sea Giant“ handelt es sich um ein Offshore Construction Vessel (OSV). Dieses Mehrzweckschiff wird für lang andauernde Einsätze im Bereich Sub-Sea-Contruction auf dem offenen Meer benötigt. Auf 161 Metern Länge und 30 Metern Breite bietet das Schiff nicht nur Platz für bis zu 199 Mann Besatzung. Die große Tragfähigkeit des Schiffes von 14.200 Tonnen ermöglicht es, dass mit den beiden an Bord fest verbauten Kränen mit jeweils 400 Tonnen bei 3.000 Metern Seillänge bzw. 50 Tonnen bei 2.200 Metern Seillänge entsprechende Vorarbeiten auf dem Schiff geleistet werden können.
Dass die Schiffsmannschaft überhaupt sicher zu den Sub-Sea-Arbeiten kommt und dort ihre Arbeit verrichten kann, dafür sorgen fünf VSP, die von ebenso gigantischen Ausmaßen sind: Allein jede einzelne Finne an einem VSP hat eine Länge von 3,60 Metern. Der Durchmesser eines VSP der Größenklasse 36, um die es sich hierbei handelt, liegt bei rund viereinhalb Metern. Zwei dieser VSP sind bei der North Sea Giant im Bug, weitere drei im Heck angeordnet. Und jeder verfügt über eine Leistung von 3.800 kW (5.160 PS). Sie treiben den Stahlkoloss auf 16 Knoten Geschwindigkeit an. Doch viel wichtiger: Sie sind dafür verantwortlich, dass das Schiff auch noch bei Windstärke 8 dynamisch an den Plattformen positioniert werden kann.
Seit zehn Jahren fährt die North Sea Giant über Nordsee, Ostsee und Atlantik und hat dabei die sensationelle Zahl von 50.000 Betriebsstunden angesammelt. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Antriebssysteme zum ersten Mal einer Wartung zu unterziehen. Ein Fall für das Voith Offshore Team mit Offshore Manager Andreas von Fintel und Montageleiter Raphael Zonneveld, die sich ein Jahr lang auf den für sieben Wochen angesetzten Einsatz vorbereitet hatten.
Zwei-Schicht-Betrieb wegen Corona
„Vor Weihnachten hatten wir mit der Werft das Kick-off-Meeting. Und am 4. Januar starteten wir mit unserem bislang größten Serviceauftrag zur Wartung und Überholung der fünf VSP“, erzählt Montageleiter Raphael Zonneveld. Zu diesem Zeitpunkt liegt die North Sea Giant bereits im Schwimmdock bei Blohm+Voss im Hamburger Hafen.
Ab sofort wird Montageleiter und verantwortlicher Obermonteur Zonneveld tagtäglich – außer an den Wochenenden – die Arbeiten seines Teams und das der 20 Werft-Mitarbeiter für die North Sea Giant koordinieren. Und das unter nicht ganz einfachen Bedingungen: Denn es herrscht die Corona-Pandemie. „Ich muss die Teams in zwei Schichten aufteilen. Nur so können wir sicherstellen, dass wir die Hygienerichtlinien einhalten und zugleich effizient arbeiten“, betont der Montageleiter.
Abstand halten lautet das Gebot und er herrscht Maskenpflicht. Denn trotz der enormen Größe des Schiffes kommen sich die Servicetechniker bei der Arbeit nahe: „Es bleiben auch bei einem so großen Schiff die Situationen nicht aus, in denen es auf die Genauigkeit von Millimetern ankommt“, so Zonneveld. Minutiös werden in den sieben Wochen ab dem 4. Januar die insgesamt 1.705 Arbeitsschritte des Projektplans abgearbeitet. Jeder Projektschritt ist mit einem Zeitfenster hinterlegt, das es einzuhalten gilt. Im täglichen „Toolbox-Meeting“, das jeden Morgen um 6 Uhr auf der North Sea Giant abgehalten wird, erläutert Zonneveld seiner Servicemannschaft das Programm für den Tag. Um 9 Uhr trifft er sich zu einem weiteren Meeting mit den Werftmitarbeitern, um beide Servicemannschaften optimal miteinander zu koordinieren.
Millimeterarbeit mit 45 Tonnen
An diesem kühlen Februarmorgen wartet auf beide Mannschaften eine besondere Herausforderung: Um einen der fünf VSP ausbauen zu können, muss der Schiffsrumpf aufgesägt werden. Doch das Aufsägen legt nicht etwa einen enormen Hohlraum im Schiffskörper frei, wie die Größe des Stahlkolosses vermuten ließe.
„Wir dringen direkt ins Fitness-Studio des Schiffes ein“, erläutert Zonneveld. Doch damit nicht genug: Um den 45 Tonnen schweren Radkörper des VSP in den dafür laut Projektplan vorgesehenen sechs Arbeitsstunden ausbauen zu können, müssen Führungsschienen angebracht und Anhängepunkte für die Kettenzüge angeschweißt werden. Zwei Schichten arbeiten daran. Schließlich kann die zweite Schicht den Radkörper, befestigt an drei Kettenzügen, ganz behutsam aus dem Schiffsrumpf ablassen.
„Wenn 45 Tonnen aus einer nur wenige Millimeter breiten Öffnung bewegt werden, herrscht bei jedem Mitarbeiter höchste Anspannung.“ Die Kräne für die Kettenzüge bedienen die Werftmitarbeiter, das Voith Service-Team nimmt den aus über fünf Metern Höhe niedergelassenen Radkörper entgegen. Zuvor wurde dieser von seinen sechs Flügeln befreit. Jetzt beginnen die eigentlichen Wartungs- und Überholungsarbeiten. Der VSP wird in seine Einzelteile zerlegt. Das Getriebe wird per Ultraschall auf feinste Haarrisse geprüft. Sämtliche Verschleißteile unterziehen die Voith Servicemitarbeiter unter dem kritischen Auge von Raphael Zonneveld einem besonderen Check. Er hat in den letzten 20 Jahren schon viele VSP bei Fähren, Schleppern und Plattform-Versorgungsschiffen überholt. „Getriebe und Hydraulik der VSP sind in Top-Zustand. Man sieht ihnen die 50.000 Betriebsstunden überhaupt nicht an“, sagt Zonneveld. Dennoch werden Dichtungen ersetzt, sämtliche Hydraulikzylinder überholt und auf die Steuerung neu abgestimmt.
Anspannung vor dem Auslaufen
Die Servicearbeiten im Schwimmdock laufen nach Plan. In den zurückliegenden sechs Wochen wurden alle fünf Propeller aus dem Schiffsrumpf ausgebaut, überholt, zusammengebaut und wieder im Schiffsrumpf verbaut. Schweiß- und Lackierarbeiten gehen Hand in Hand – die North Sea Giant nimmt rumpfseitig wieder Gestalt an, so dass das Ausdocken angepeilt werden kann.
„Dieser Ausdockvorgang ist sehr zeitintensiv und bedarf einer detaillierten Vorbereitung“, weiß Zonneveld. Der Abnahmeprozess kann eingeleitet werden. Hierzu ist nicht nur die komplette Mannschaft an Bord (die im Übrigen während der gesamten sieben Wochen auf dem Schiff im Schwimmdock lebte), sondern auch die Klasse, also jene Vertreter, die, vergleichbar mit dem TÜV bei Straßenfahrzeugen, die Abnahme und Seetauglichkeit des Schiffes zertifizieren. In einem ersten Schritt wird nach der Zuwasserlassung die Dichtigkeit überprüft. Raphael Zonneveld erzählt von einer unruhigen Nacht vor dieser Zuwasserlassung. „Ich kann das nicht ändern. Aber immer, wenn wir sämtliche Servicearbeiten am Schiff abgeschlossen haben und der Testlauf bevorsteht, schlafe ich schlecht.“
Service im und nach Zeitplan
Die North Sea Giant liegt jetzt ruhig im Hafenwasser der Elbe. Sämtliche VSP haben die Dichtigkeitsprüfung überstanden. Die Bordmannschaft fährt sämtliche Anlagen hoch, um nicht zuletzt unter anderem auch die Kühlung der Antriebsaggregate sicherzustellen.
Nach diesem zweiten Schritt erfolgt der für Zonneveld und seine Mannschaft entscheidende dritte: Die Propeller laufen an. Er selbst beobachtet diese Anlageneinfahrphase vom Steuerstand der North Sea Giant aus. In diesem Moment hat Zonneveld kein Auge für den herrlichen Ausblick der Hamburger Hafenskyline, die sich an diesem sonnigen, kalten Tag besonders pittoresk präsentiert. Er vernimmt die Geräusche von Motoren und Propellern in Anspannung. Langsam bewegt sich die North Sea Giant in Richtung offenes Meer. Dann erfolgt die kurze, aber entscheidende Volllastphase des Schiffes und erst dann kann Zonneveld entspannen: „Ich bin so glücklich, mir fällt ein Stein vom Herzen“, sagt der Montageleiter. Jetzt ist der Serviceauftrag auch für ihn absolut erfolgreich und im vorgegebenen Zeitplan abgeschlossen.