Nachhaltigkeit
Strom tanken statt laden
Über lange Jahre fristete die Brennstoffzelle als Antriebskonzept für Fahrzeuge ein Nischendasein. Doch seit ein bis zwei Jahren rückt die auf Wasserstoff basierende Variante der E-Mobilität immer stärker in den Fokus von Politik und Wirtschaft. Denn Wasserstoff hat etwa bei vielen Nutzfahrzeuganwendungen im Offroad- und Schwerlastbereich deutliche Vorteile gegenüber anderen Energieträgern – technologisch, aber auch bei den Betriebskosten.
Die Knallgasprobe hat ihre Top-Platzierung in der ewigen Hitparade der beliebtesten Experimente im Chemieunterricht sicher. Bei dem Versuch reagiert Wasserstoff (H2) nach der Zündung recht spektakulär mit Sauerstoff (O2). Den lauten Knall noch in den Ohren, schreiben sich die Schüler im Anschluss seit vielen Jahrzehnten die Erkenntnis auf, dass bei einer Explosion Energie freigesetzt wird. Wie sich diese nutzen lässt, hat Christian Friedrich Schönbein bereits 1838 entdeckt: In der von ihm entwickelten sogenannten Brennstoffzelle reagiert gasförmiger Wasserstoff mit Sauerstoff, woraus dann Strom entsteht (siehe Infobox). Das Restprodukt dieses Prozesses: reines Wasser.
Emissionsfreier und ökologischer geht es eigentlich nicht mehr. Und damit ist die Brennstoffzelle eine ideale Basis für den Antrieb von umweltfreundlichen Fahrzeugen. Mit dem Necar I stellte Mercedes-Benz 1994 den ersten Prototyp eines Autos mit Brennstoffzellenmotor vor. Die zur Stromerzeugung benötigten Anlagen füllten dabei noch den gesamten Laderaum eines Kleintransporters. Beim etwa drei Jahre später präsentierten Nachfolger fand die Technik bereits in einer A-Klasse Platz. Dennoch fristete die Technologie bisher ein Nischendasein. Dies scheint sich heute, im Angesicht der Mobilitätswende, zu ändern.
Patrick Seidel, Product Owner H2 Storage Systems bei Voith, folgt zwar generell dieser Ansicht vieler Experten, die Wasserstoff neben batterieelektrischen Antrieben und effizienteren Hybrid-Verbrennungsmotoren als dritte wichtige Säule einer Mobilität der Zukunft sehen. Gleichzeitig stellt er aber eines klar: „Brennstoffzellen sind nur dann eine sinnvolle Alternative, wenn dabei emissionsfreier Wasserstoff, also sogenannter grüner oder türkiser Wasserstoff, verwendet wird.“ Denn zurzeit wird ein Großteil des Wasserstoffs noch aus Erdgas im Dampfreformierungsprozess hergestellt. Mithilfe heute verfügbarer günstiger erneuerbarer Energie kann hingegen zukünftig grüner Wasserstoff per Elektrolyse aus Wasser hergestellt werden und damit erheblich zur Dekarbonisierung beitragen.
Seidel hat auch schon Vorschläge, wie sich diese Hürde ganz einfach meistern lässt: „Wasserkraftwerke laufen zum Beispiel fast durchgängig unter Volllast und erzeugen daher über viele Stunden konstant Strom, um daraus durch Elektrolyse Wasserstoff herzustellen. Sauber und emissionsfrei – also grün.“ Auch in Offshore-Windkraftanlagen könnte überschüssige Stromproduktion dazu dienen, Wasserstoff zu gewinnen, so Seidel. Hier wie da hat Voith bereits Technologien im Einsatz, die dazu beitragen können, grünen Wasserstoff zu produzieren. Was Wasserstoff zudem entscheidend für die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft macht: Mithilfe von H2 lassen sich große Mengen erneuerbarer Energie speichern und transportieren. So kann zukünftig etwa grüner Wasserstoff aus Afrika oder Amerika nach Deutschland importiert werden. Auch dabei kann übrigens Technik von Voith einen Beitrag leisten. Hinzu kommt, dass das „Auftanken“ eines H2-Fahrzeugs deutlich schneller ist als bei einem batterieelektrischen Speicher. Denn selbst an Schnellladesäulen mit über 50 kW braucht ein Pkw etwa 45 Minuten, bis der Akku wieder zu 80 Prozent gefüllt ist. Im Regelfall sind die Ladezeiten jedoch deutlich länger. Ein H2-Lkw mit 800 Kilometern Reichweite ist dagegen – je nach Größe – in acht bis 15 Minuten wieder fahrbereit.
Für Seidel bedeuten diese Vorteile jedoch keine Abkehr von anderen Antriebskonzepten. Langfristig sieht er vielmehr ein Miteinander. Je nach Anwendung sieht er Pluspunkte beim einen oder anderen Antrieb. „Im Pkw ist der Einsatz von batterieelektrischen Antrieben eine praktikable Lösung“, betont Seidel. Der Wasserstoffantrieb könne dagegen im Schwerlastverkehr, bei Baustellenfahrzeugen und vergleichbaren Offroad-Anwendungen seine vollen Stärken ausspielen. Auch bei verschiedenen Anwendungen für Schienenfahrzeuge oder Schiffe sei der Einsatz von Wasserstoff sinnvoll. So zum Beispiel bei Hochleistungsfähren, wie sie in Norwegen bereits im Einsatz sind.
Hydrogen Big Picture
Von der Herstellung bis zum Verbraucher
Bei der Herstellung von grünem Wasserstoff und dessen flächendeckender Distribution bis zum Verbraucher ist Voith mit seinen Technologien an vielen Stellen beteiligt.
Voith Plug & Drive H2 Storage System
Beim neuen Speichersystem von Voith stehen insbesondere Anwendungen im Schwerlastverkehr im Fokus. Die ersten Entwicklungsstufen hat das Konzept bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Der Start der industriellen Fertigung des Systems ist für Anfang 2025 vorgesehen. Eine Punktlandung, denn irgendwann zwischen 2025 und 2030 werden laut einer aktuellen Studie des Hydrogen Councils die Gesamtbetriebskosten für Nutzfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb günstiger sein als die heutiger Dieselsysteme oder vergleichbarer batterieelektrischer Antriebe anderer Systeme. „Spätestens wenn dieser Fall eintritt, wird die Nachfrage nach H2-Nutzfahrzeugen deutlich steigen“, prognostiziert Seidel.
Das von Voith konzipierte System basiert auf einem 700-Bar-Typ-IV-Druckbehälter aus einem CFK-Material, der speziell für den Einsatz in Nutzfahrzeugen konzipiert wurde. Erstmals kommen bei der Fertigung der Tanks dabei sogenannte TowPregs zum Einsatz: „Mit diesen vorimprägnierten Fasern setzen wir einen neuen Standard. Die TowPregs stellen wir im Haus bei Voith Composites selbst her und können damit auch die Materialparameter ideal für diese herausfordernde Anwendung einstellen“, beschreibt Seidel. Das Voith Plug & Drive H2 Storage System bündelt damit zwei Kernkompetenzen des Unternehmens. „Die meisten anderen Mitbewerber kommen entweder aus der Welt der Automotive-Zulieferer und haben keinen CFK-Hintergrund oder sind CFK-Hersteller ohne Kompetenz im Automotive-Bereich. Wir sind in beiden Feldern zuhause.“
Allerdings ist die Speicherung des Wasserstoffs deutlich komplexer als bei einem Dieseltank. „Wir haben es hier mit sehr flüchtigen Molekülen zu tun“, erklärt Seidel. Das ist sogar noch eine Untertreibung, denn Wasserstoff siedet unter normalem Druck bereits bei einer Temperatur von –252 Grad Celsius. Die Konstruktion eines Dichtsystems, das den Energieträger absolut zuverlässig daran hindert, aus dem Tank zu strömen, war daher eine zentrale Herausforderung für das Team um Seidel. Aber eben auch nur eine von vielen Innovationen, die in dem H2-Speichersystem stecken. Auch Rohrleitungen, Ventiltechnik oder die Strömungen im Gassystem müssen neu entwickelt werden. Genauso übrigens wie die gesamte mechanische Struktur oder die elektrische Steuerung. Dies ist notwendig, da der Weg des Wasserstoffs vom Tank zur Brennstoffzelle deutlich aufwendiger ist als bei einem konventionellen Dieseltank. Ein komplexes Ventilsystem sorgt beispielsweise dafür, dass der Druck des Energieträgers auf seinem Weg vom Tank zur Brennstoffzelle von 700 Bar auf den gewünschten Zieldruck reduziert wird.
Auch der modulare Aufbau des Systems steht weit oben auf der Agenda des Entwicklerteams. Dadurch kann das Layout des Systems einfach an die individuellen Kundenanforderungen angepasst werden und das System steht prinzipiell jedem Fahrzeughersteller zur Verfügung. Nur die Brennstoffzelle gehört nicht zum Lieferumfang.
„Unsere Kunden bekommen ein Plug & Drive H2 Storage System von uns”, fasst Seidel zusammen. Eine standardisierte Schnittstelle ermöglicht Fahrzeugherstellern, den schnellen und problemlosen Anschluss des Tanksystems. Ziel soll es sein, dass der Kunde das Gesamtsystem in kürzester Zeit in sein Fahrzeug montieren kann. Dies dauert nicht länger als sieben Minuten, rechnet Seidel vor.
Das große Marktpotenzial der Brennstoffzelle und damit auch für das Speichersystem von Voith lässt sich schon heute beispielsweise in der Schweiz, Norwegen oder in China beobachten. Die Eidgenossen arbeiten seit Jahrzehnten daran, das wachsende Güteraufkommen, das tagein, tagaus die Alpen quert, in umweltfreundliche Wege zu kanalisieren. Ein Großteil davon wird auf die Schiene verlagert, wo Tunnelstrecken unter dem Gotthardpass oder dem Lötschberg für eine Entlastung der Straßen sorgen. Die rigide CO2-Abgabe – seit 2018 sind rund 88 Euro pro Tonne CO2 fällig – hat auch zu einem Umdenken bei Betreibern von Nutzfahrzeugen geführt. So wird Hyundai bis 2025 insgesamt 1.600 wasserstoffbetriebene Lkw in die Schweiz ausliefern. Seit Oktober 2020 sind die ersten Fahrzeuge unterwegs.
In Norwegen rücken dagegen zurzeit Schiffe mit Wasserstoffantrieb in den Fokus. Hintergrund: In den Gewässern des skandinavischen Landes gelten ab 2026 strenge Umweltschutzvorschriften. Nach diesen sollen in den Fjorden sowie in Küstennähe nur noch Schiffe mit emissionsfreien Lösungen fahren dürfen. Batterielösungen sind dabei keine Alternative für große Schiffe, die über weite Strecken mit hoher Geschwindigkeit fahren. Denn die Akkus können schlicht und ergreifend nicht genügend Energie bereitstellen. Zudem sind die Schiffe teils in wenig bewohnten Gegenden unterwegs. Dort fehlt es dann schon mal an einer passenden Hochspannungsinfrastruktur, oder diese stößt bereits jetzt an ihre Kapazitätsgrenzen, was das Laden der Akkus unmöglich macht. Das Gesetz hat norwegische Reedereien daher in Zugzwang gesetzt. Als zurzeit einzige sowohl emissionsfreie als auch gleichzeitig wirtschaftlich sinnvolle Alternative verbleibt Wasserstoff. Seit kurzem sind die ersten H2-Schiffe in den Gewässern Norwegens unterwegs. Auch für die legendäre Hurtigruten existieren bereits Pläne für eine Umstellung.
Seidel sieht zudem ein weiteres Anwendungsfeld für das Plug & Drive Storage System von Voith: „Unsere Technologie ist gut skalierbar. Daher denken wir, dass sich auch Tankstellenbetreiber für das Speichersystem interessieren.“ Denn für den Erfolg des Wasserstoffantriebs ist ein zuverlässiges Versorgungsnetz eine zwingende Voraussetzung.
Derzeit bereitet Voith erste Muster des Tanksystems für den Einsatz in Kundenfahrzeugen vor. Der abschließende Zertifizierungsprozess nach der ECE-R134-Norm soll 2023 beginnen und wird etwa ein Jahr dauern. In einem umfassenden Testzyklus müssen sowohl Tank als auch das Gesamtsystem verschiedenste Druck-, Fall- und Brandtests bestehen. Zudem wird ihr Verhalten unter unterschiedlichsten Bedingungen geprüft. Ergänzend nimmt Voith auch eigene Prüfungen vor, um den regulatorischen Rahmen zu erweitern und seinen Kunden die optimale Qualität zu liefern. Anschließend wird die industrielle Fertigung vorbereitet. „Die Produktion soll weltweit an unseren Standorten erfolgen. Die kurzen Wege zu den Herstellern sind ein Beitrag, den CO2-Fußabdruck deutlich zu reduzieren“, betont Seidel. „Ohnehin liegt bei diesem Produkt ein starker Fokus auf dem Thema Nachhaltigkeit. Beispielsweise forscht Voith intensiv am Recycling von CFK-Materialien.“
Spätestens 2025 sollen dann die ersten Fahrzeuge mit dem Speichersystem von Voith unterwegs sein und damit die verschiedenen Bausteine zur Dekarbonisierung der Mobilität und die innovativen Lösungen im H2-Ökosystem, die der Technologiekonzern anbietet, ergänzen.
Mit unserer Kernkompetenz für Antriebssysteme und -technologien verfolgen wir weltweit dasselbe Ziel: maximale Effizienz. Seit über 150 Jahren Exzellenz verfolgen wir den Systemgedanken, das perfekte Zusammenspiel aller Komponenten. Dazu gehören unsere Kunden, denen wir mit unserem persönlichen Service überall auf der Welt zur Seite stehen. Denn gemeinsam mit ihnen erfolgreich zu sein, ist und bleibt unser Antrieb.
Jetzt entdecken