Hohe gestalterische Ansprüche
Ästhetik ist nicht alles. Weit stärker als andere Gebäudekategorien sind Industriebauten an funktionale Anforderungen gebunden, die ihre Architektur beeinflussen.
Besonders hoch sind die Ansprüche an die Gestaltung von Wasserkraftanlagen. Schon ihre Größe macht die Integration in eine urbane oder natürliche Umgebung zur Herausforderung. „Das Verhältnis zwischen Kontext und Maßstab wird oft wenig berücksichtigt“, sagt Nanna Meidell, Architektin beim norwegischen Beratungsunternehmen Norconsult. Hinzu kommt noch der Anspruch, die Kraftwerke über eine Lebensdauer von mehr als 100 Jahren hinweg effizient betreiben zu können. „In diesem eher unflexiblen Rahmen muss sich der Architekt auf andere Gestaltungsmittel konzentrieren.“
Wie sie aussehen, hat Meidell beim norwegischen Laufwasserkraftwerk Vamma gezeigt. Den monolithisch wirkenden Neubau in Form eines Kubus grenzt sie durch große, fast sakral anmutende Glasflächen in der anthrazitfarbenen Fassade bewusst von den älteren Bestandsgebäuden ab, um Interesse zu wecken und ein ebenso positives wie aufregendes Gebäude zu schaffen.
Die Entwicklung von Vamma 12 begann 2015. Im Mai 2019 ging das Kraftwerk in Betrieb, im September wurde es offiziell eröffnet. Die finalen Prüfungen konnten im Dezember 2019 abgeschlossen werden.
Norwegen deckt bereits heute 96 Prozent seines Strombedarfs durch Wasserkraft – doch um die nachhaltige Energieversorgung für die Zukunft zu sichern, müssten viele Kraftwerke aufgerüstet, erneuert und verbessert werden. Vamma, das größte Laufwasserkraftwerk des Landes, ist bereits seit 1915 in Betrieb. Jetzt macht Vamma einen großen Schritt in Richtung Zukunft – mit Hilfe von Voith.
Vamma 12 wurde als komplett neuer, eigenständiger Block errichtet. Der Staudamm musste jedoch nicht erweitert werden, lediglich ein separater Zulauf wurde gebaut, der die Turbine mit dem Reservoir der bestehenden Kraftwerksblöcke verbindet. Beim größten europäischen Kraftwerks-Neubau der vergangenen 30 Jahre erweiterte der Betreiber E-CO Energi die Anlage durch eine zwölfte Maschine. Sie bringt eine höhere Kapazität und Flexibilität, vor allem aber Zukunftssicherheit.
Wasserkraft trifft auf Innenstadt
Der deutsche Architekt Michael Becker sieht für die Wasserkraft als nachhaltige Form der Energieerzeugung generell zwar eine gesellschaftliche Akzeptanz. Daraus ergeben sich aber keine geringeren architektonischen Anforderungen – im Gegenteil!
Michael Beckers Architekturbüro hat das mehrfach preisgekrönte Iller-Kraftwerk in Kempten gestaltet und war dabei mit besonders hohen Ansprüchen konfrontiert, denn die Anlage liegt nicht außerhalb, sondern mitten in der Innenstadt. Deshalb überzog Becker Stauwehr, Zulauf und Turbinenhaus mit einer wellenartigen Betonskulptur, deren Formgebung unterschwellig mit Assoziationen an Strömung und Wasser spielt. „Das Iller-Wasserkraftwerk versucht den industriell geprägten Standort mit seiner herausragenden Backsteinarchitektur und der historisch bedeutsamen Brückenabfolge als urbanen Raum mit hoher atmosphärischer Dichte für die Bewohner der Stadt wiederzubeleben“, erklärt der Architekt. So gestaltet, bilde es ein verbindendes Element.