Wirtschaftsfaktor KTX:
Hochgeschwindigkeitszüge in Südkorea
Hochgeschwindigkeitszüge spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft in Südkorea – und sind ein wichtiger Treiber für die Dekarbonisierung. Daher steht die stetige Weiterentwicklung von Schienennetz und Fahrzeugen weit oben auf der politischen Agenda des dichtbevölkerten ostasiatischen Staates. Die komfortablen Züge befördern jedes Jahr rund 90 Millionen Passagiere mit Tempo 300 km/h zwischen den Metropolen – und das mit einer Pünktlichkeitsrate von über 99 Prozent. Komponenten von Voith haben einen wesentlichen Anteil an dieser Erfolgsgeschichte.
99 Prozent Pünktlichkeit, dank zuverlässiger Züge
Als Tourist lässt sich Südkorea hervorragend mit dem Zug erkunden: Über das dichte Schienennetz mit mehr als 4.000 Kilometern Länge – davon knapp 700 Kilometer für Hochgeschwindigkeitszüge – lässt sich fast jeder Winkel des kompakten, dichtbevölkerten Landes in Ostasien bequem entdecken. Denn die Züge sind komfortabel, modern ausgestattet und höchst zuverlässig – auch wegen einer Pünktlichkeitsrate von über 99 Prozent, die auf einer intelligenten Frequenztaktung sowie einer zu vernachlässigenden Zahl an technischen Störungen beruht. Touristen kaufen sich am besten den Korail-Pass der staatlichen Eisenbahngesellschaft. Für wenig Geld erlaubt dieser die Nutzung des kompletten Netzes – inklusive der KTX-Hochgeschwindigkeitszüge.
Aber die Züge sind natürlich nicht in erster Linie für die Touristen da: Die Eisenbahn im Allgemeinen und das Hochgeschwindigkeitsnetz im Besonderen ist seit vielen Jahren ein wichtiger Faktor für den „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt“ des Landes im 21. Jahrhundert, so Moon Jae-in, Präsident Südkoreas zwischen 2017 und 2022. Ausbau des Netzes und Weiterentwicklung der Züge haben daher einen hohen Stellenwert in der politischen Agenda Südkoreas.
Schnellfahrstrecken in Südkorea
Bahninfrastruktur steht weit oben in der politischen Agenda
Die immense Wichtigkeit des Schnellbahnnetzes für Südkorea hat natürlich Gründe: Das Land gehört zu den am dichtesten bevölkerten Flächenländern der Welt. 513 Menschen leben hier auf einem Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Japan sind es nur 330, in Deutschland 233 und in Thailand 130. Mehr als Dreiviertel der Bevölkerung wohnt zudem in städtischen Regionen. Da überdies rund 70 Prozent des Landes gebirgig sind, ist der Ausbau des Fernstraßennetzes schwierig und kostspielig.
Als das Land ab den 1960er-Jahren wirtschaftlich und industriell rasant aufblühte, waren die traditionellen Straßen-Hauptverkehrsachsen zwischen den Metropolen Seoul, Busan, Daegu oder Ulsan schnell überlastet. Als Lösung, die am besten zu den topographischen Gegebenheiten passte, erwies sich der Ausbau des Schienennetzes. Dessen allgemeiner Ausbau wurde 1989 von den Planungen eines umfassenden Schnellbahnnetzes ergänzt, das entlang der Achsen zwischen den Wirtschaftszentren des Tigerstaates verläuft. Seit 2003 gibt es zudem ein Rahmengesetz, in dem die Regierung die Entwicklung der Eisenbahn plant.
Das federführende Ministerium für Infrastruktur (Ministry of Land, Infrastructure and Transportation, kurz: Molit) ist für die Umsetzung verantwortlich. Seit der Einführung des Gesetzes aktualisiert es dieses regelmäßig alle fünf Jahre.
2004
Startschuss mit französischer Technik
Im Jahr 2004 startete Südkorea mit dem ersten KTX (Korea Train eXpress) fahrplanmäßig ins Zeitalter der Hochgeschwindigkeit auf der Schiene. Auf der Strecke zwischen Seoul und Busan verkehrten täglich zunächst 26 Zugpaare. Bei den Fahrzeugen der ersten Generation (KTX I) setzte der staatliche Betreiber Korail auf eine leicht modifizierte Variante des französischen TGV-A. Von den insgesamt 46 bestellten Zügen wurden zwölf in Frankreich gebaut. Den Rest fertigte Hyundai Rotem, einer der weltweit größten Zughersteller in diesem Bereich, mit Sitz in Seoul. Südkorea war das achte Land insgesamt und das erste in Asien, das sich für die über viele Jahre erprobte TGV-Technik entschied.
2010
Erfolgreiche Eigenentwicklungen
Alle folgenden Hochgeschwindigkeitszug-Generationen wurden in Südkorea entwickelt und gebaut. Für die bereits seit 1996 laufende Entwicklung der ersten einheimischen Hochgeschwindigkeitsplattform KTX-350 HSRx, aus der später der KTX-Sancheon (auch KTX II genannt) hervorging, brachte die südkoreanische Regierung Universitäten und Privatfirmen wie Hyundai Rotem zusammen. Hyundai Rotem übernahm den Bau der Züge und setzte auf Technologien von Voith, etwa für eine spezielle Radsatzgetriebeanordnung. Dazu wurden die Radsatzgetriebe SE-530 und SE-340 kombiniert. Sie sind über eine Tripodengelenkwelle miteinander verbunden und übertragen die enorme Kraft der acht jeweils 1.100 kW starken Motoren auf die Radsatzwelle. Die kräftigen Motoren ermöglichen Höchstgeschwindigkeiten von über 300 km/h im Plandienst. Zusätzlich schützen SafeSet-Kupplungen von Voith den Antrieb vor Überlastung. Ebenfalls von Voith stammen die markanten Bugnasen des 2010 in Dienst gestellten KTX II.
Tripodengelenkwelle von Voith
2020
KTX-EUM
Mittlerweile ist die Hochgeschwindigkeitsflotte Südkoreas weitergewachsen. Alle Züge, der aktuellen Flotte wurden von Hyundai Rotem entwickelt und gebaut. Im Jahr 2020 wurde der KTX-EUM vorgestellt, eine Weiterentwicklung des Experimentalzugs HEMU (Highspeed Electric Multiple Unit), der bei Versuchsfahrten 2013 eine Geschwindigkeit von 421 km/h erreichte. Das Serienmodell des KTX-EUM erlaubt Höchstgeschwindigkeiten von 260 km/h.
Radsatzgetriebe SE-380 von Voith
2024
KTX-CheongRyong
Eine weitere Ableitung des HEMU ist der KTX-CheongRyong, dessen Anstrich in tiefem Blau und Gold laut Korail „an den mythischen blauen Drachen erinnern“ soll. Seit Mai 2024 befördert dieser Zug Passagiere höchstpünktlich – und das mit Geschwindigkeiten von bis zu 320 km/h. Die Fahrt von Seoul nach Busan (knapp 390 km) dauert etwas mehr als zwei Stunden. Von Yongsan ins 314 km entfernte Gwangju sind es etwas mehr als 1,5 Stunden.
Auch bei den beiden KTX-Varianten KTX-EUM und KTX-CheongRyong setzte Hyundai Rotem auf die Kompetenz von Voith. Der Technologiekonzern stattete die Züge mit Radsatzgetrieben, Kupplungen und Frontmodulen aus.
Radsatzgetriebe SE-380 von Voith
Zukunftsziel: In zwei Stunden durchs Land
Gewachsen ist in den vergangenen Jahren auch das Netz für Hochgeschwindigkeitszüge in Südkorea. Auf mehr als 650 Kilometern Länge verkehren heute Züge mit Geschwindigkeiten jenseits von Tempo 250 km/h. Das entspricht rund 16 Prozent des gesamten Schienennetzes im Land. Zum Vergleich: In Deutschland sind rund sieben Prozent des Netzes als Hochgeschwindigkeitsstrecken deklariert. „Unser Ziel ist es, das Netz landesweit auszubauen, um jeden Ort des Landes in zwei Stunden erreichen zu können“, lautet der offizielle Plan der Regierung Südkoreas. Ziel dieser Bestrebungen ist es, einen landesweiten, integrierten Ballungsraum zu schaffen. Dieser soll der Bevölkerung mehr wirtschaftliche Vorteile bieten und die regionale Entwicklung maximieren.
Klimaschutz rechnet sich
Längst hat die Politik jedoch nicht nur wirtschaftliche Aspekte im Blick. Immer stärker wird die Eisenbahn als ökologisches Verkehrsmittel ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. So ist das Ziel eines klimaneutralen Eisenbahnverkehrs in der vierten Auflage des Gesetzes zur Entwicklung der Eisenbahn verankert. In diesem Zusammenhang gibt Korail an, dass „die Eisenbahn 83 % weniger Energie verbraucht als das Auto und nur 10 % von dessen Kohlendioxidemissionen verursacht“. Eine Erhöhung des Anteils der Eisenbahn am Verkehrsaufkommen um nur einen Prozentpunkt würde daher Energieeinsparungen im Gegenwert von 600 Milliarden südkoreanischen Won (rund 424 Millionen US-Dollar) sowie eine gewaltige Reduzierung der Treibhausgase bedeuten. Daher plant der Betreiber, bestehende nicht-elektrifizierte Bahnen auf elektrifizierte Bahnen umzurüsten.
Bis 2029 sollen zudem alle Dieselzüge durch KTX-EUM-Fahrzeuge ersetzt werden.
Zum Vergleich: In China sind aktuell rund 72 % aller Strecken elektrisch betrieben, in Spanien sind es 65 %, in den USA nur ein Prozent, und Deutschland plant, bis 2030 rund 75 % des Netzes zu elektrifizieren. Gleichzeitig will Südkorea das landesweite Schienenstreckennetzes weiter ausbauen. Bis 2030 sollen über tausend Kilometer Neubaustrecke das Netz noch dichter machen. Bahnreisende können dann auf rund 5.400 Kilometern durch das Land reisen. Und Technik von Voith wird auch dabei einen wichtigen Beitrag für die Zuverlässigkeit der Züge sorgen leisten.
Es erscheint zwar noch utopisch: Dennoch haben Infrastrukturplaner Südkoreas den Aufbau eines umfassenden Eisenbahnnetzes bis nach Zentraleuropa fest im Blick – Korail spricht hier von einer „eisernen Seidenstraße“.